„Es ist der alte Traum vom Fliegen. Nicht vom Transport in Chartermaschinen noch sonst wo. Sondern ein sich Erheben. Das Fortwünschen. Träume. – In den Objekten von Günter Schubert in der Kulturhalle in Tübingen sind sie in grazilen Strukturen seiner Flugapparate gegenwärtig. Sie streben in die Höhe, mit den langen Spinnenbeinen, den ausgestreckten Federn und den kleinen Propellern. Wollen nach Höherem berufen sein und bleiben doch immer mit ihren Beinen am Boden fest. Kommen nicht los von der Erde. Träumen nur davon.

      „POETISCHE VEHIKEL“ nennt Schubert seine Objekte. Wie das Wort gerne die prosaische Schwerkraft aufheben will, um in lichtere Höhen zu schweben. Der Gedanke fliegt. Die Objekte bleiben auf ihren Startklötzen zurück“. (SCHWÄBISCHES TAGBLATT )

      Ja, „Poetische Vehikel“ habe ich sie genannt. Konstruktionen am Schnittpunkt von Poesie und Physik.

       Rost und erodierte Oberflächen erzählen Geschichten aus der Vergangenheit. Ich bin ständig auf der Suche nach altem Metall, nach Eisen mit Zeitspuren. Seit ca 1998 beschäftige ich mich intensiv mit dem Thema „ POETISCHE VEHIKEL“ . Diese Zeit markierte den Endpunkt traditioneller bäuerlicher Kultur und des Handwerks bei uns. So gab es handgefertigte Eisenteile von überflüssig gewordenen Ackerwagen, Geräten  und Maschinen in Hülle und Fülle, die mir als Katalysator für meine Arbeiten dienten. Diese Ära ist nun vorbei . Damit ist mir eine wichtige Grundlage für weitere Arbeiten verloren gegangen. Bis 2016 sind ca180 Objekte entstanden.

       Anfangs waren meine Vehikel reduziert auf die elementarste Erfindung der Menschheit, auf Rad, Nabe und Achse.

      Das Rad steht für für die horizontale Bewegung, für das Überbrücken von Distanzen, für die Erweiterung des Horizontes und für Eroberung, mit all ihren Folgen.

      Das Hinzufügen des Propellers erschloss mir dann die Vertikale, den Raum, die Luft, die grenzenlose Weite, den Himmel, die Dimension der Träume.

      Meistens sind meine Propeller vergoldet.  Als die Menschen noch mehr  Seele hatten haben sie auf ihren Bildern Sonne, Mond und Sterne in Gold dargestellt. Gold schafft eine andere  Bewusstseinsebene, erhebt Dinge ins Sakrale.

      Wie das Rad gehört auch das Boot, die Barke, das Schiff, zu den frühesten Fortbewegungsmitteln der Menschen. Seit Urzeiten ist es eine Metapher für den Aufbruch an andere Ufer, in neue Lebensabschnitte, ja auch ins Jenseits, in eine immaterielle  Welt. Das Schiff ist auch eine Metapher für Sinnsuche, beinhaltet die Erkenntnisfahrt des Geistes ebenso wie das existentielle Scheitern im Schiffbruch.

      Mit  Hilfe  der Schifffahrt hat sich der Mensch die weite Welt erschlossen,  neues Land und neues Wissen gewonnen Schiffe waren Mittler zwischen Welten.

      Das Haus dagegen ist ein statisches Element. Häuser sind Ort des Schutzes, sie suggerieren Sicherheit und Geborgenheit, Häuser befriedigen  ein  menschliches Grundbedürfnis und sie sind Sehnsuchtsort. Letzteres habe ich in meinen Arbeiten häufig thematisiert.

      Zu diesen archetypischen Symbolen wie Rad, Propeller, Boot und Haus kam noch die Leiter hinzu, weniger als Sinnbild dafür, etwas zu erreichen als die Unerreichbarkeit und damit auch das Scheitern zu verbildlichen.

      Das sind die Bausteine meiner Arbeiten. Sie bilden das intellektuelles Rückgrat.  Mit ihnen lässt sich trefflich fabulieren. Aus ihrem Wechselspiel entstehen Geschichten, offene Geschichten, Poesie.

      Die Ideen für neue Konstruktionen entstehen meist während der Arbeit an einem Objekt. Es sind kreative Weiterentwicklungen, Modulationen  des Vorausgegangenen.  Ausgangspunkt eines Objektes wiederum ist oft ein besonderes Fundstück, das mich inspiriert. Häufig fertige ich grobe Skizzen an, oft werden sie aber verworfen um später vielleicht doch wieder aufgegriffen zu werden.

      Am Anfang brauche ich viel Material um mich herum. Beim Sägen, Löten, Schmieden, Schweißen, Biegen, Nieten, Bohren, Gewindeschneiden, Treiben, Vergolden, Patinieren, Polieren und was die Herstellung sonst noch alles an Techniken verlangt, wird permanent geändert und verändert. Ich taste mich langsam an stimmige Proportionen heran und bemühe mich um größtmögliche Reduktion und darum, auch bei kleinen Formaten  den Eindruck einer gewissen  Monumentalität  zu erreichen. Das geschieht durch das Spiel mit den Proportionen der einzelnen Elemente. Wichtig ist mir, dass die Funktion der Flugapparaturen erfassbar ist. Natürlich hat das immer einen Bruch, ist Illusion. Dahinter steht jene anrührend schöne Poesie des Scheiterns, Hinweis auf unsere Unvollkommenheit und  auch Kritik an der Suprematie der Technik.

      Einige meiner Vehikel sind sehr kraftvoll, mache gar martialisch, andere wiederum  ingeniöse Umsetzungen alter Erinnerungen, die zirzensischen Objekte nicht zu Ende geträumte Kindheitsträume. Was mich antreibt, ist die Lust am Experimentieren, alles einem schöpferischem Impuls folgend, ohne Berechnung, ohne Vorsätzlichkeit. Es ist einfach das Fabulieren mit Fundstücken, ein Umdeuten ihrer alten Funktion, ein Geschichtenerzählen oder das Schaffen  neuer, aber offener Aussagen.

     Wenn am Schluss dann ein Objekt vor mir steht, das anregt , belustigt oder nachdenklich macht, vielleicht Erinnerungen weckt oder gar den Betrachter weg trägt mit seinen Träumen, und sei es nur auf eine kurze Reise, dann habe ich mein Ziel erreicht.

     Ein Geheimnis bleibt  zwischen mir und dem Betrachter: Ich kenne die Fundorte und die Umstände, oft die Geschichten oder die alten Funktionen der Teile. Sie behalten ihre Identität und prägen somit die meiner Objekte.

      Ich denke da an das lebensfeindliche Hochland von Island. Zuerst vernahmen wir nur ihre weit tragenden Flugrufe, dann sahen wir sie: Singschwäne, voller Grazie, tief über der toten, schwarzen Lava fliegend.Sie erschienen uns wie Boten des Lebens. Die Federn, dort auf einsamen Mauserplätzen gesammelt, habe ich mehrfach verbaut. Sie tragen für mich die ganze Mystik dieses Augenblicks.

    Oder, da ist ein Stück Stahl aus einem Bunker des Westwalls an der französischen Atlantikküste, an dem Schweiß und Blut von Zwangsarbeitern klebt und der jetzt eine Metamorphose zu einem Kunstobjekt erfahren hat.

      Rostige Schiffsnägel habe ich verarbeitet, von alten Segelschiffen, viele Überbleibsel bäuerlicher Kultur, Reste von Eisenbahnen aus der Atacamawüste und viele Meter im Seewind verrosteter Draht von den Faroer oder den Äußeren Hybriden. Grenzen hat er dort markiert, die jetzt in meinen Flugobjekten überwunden werden.

     Viele solcher Beispiele gibt es. Dieses Wissen um die Herkunft bereichert meine Objekten um eine metaphysische Ebene. – Irgendwie sind meine Poetischen Vehikel  so auch eine Art Tagebuch für mich, vieler Jahre. Kunst ist nicht nur Spiegel des Lebens, Kunst ist Leben.